Marco hat Schuld.
In unsere Sweet TV Memories WhatsApp Gruppe,
die aus Marco, meinem Ex-Kollegen und Freund, meinem Bruder und mir besteht,
postet er eine Langnese Werbetafel aus den 70er Jahren.
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Foto: Joachim Harms/Pinterest |
Ich sehe sie, und - zack - sitze ich in einer
Zeitmaschine und fliege direkt in meine großen Ferien im Jahr 1979. Es sind die
Sommerferien, bevor ich auf das Gymnasium komme.
Wir sind nicht verreist. Meine Eltern betreiben ein
kleines Hotel im Hochsauerland, da verreist man nicht, da bereitet man den
Gästen vom Niederrhein, aus dem Münsterland und Ruhrgebiet schöne Ferien. Mein
Bruder und ich teilen dieses Schicksal mit den Zwillingsmädchen Christiane und
Silke aus der Nachbarschaft. Auch ihre Eltern haben ein Hotel. Sogar eines mit
angrenzendem Minigolfplatz.
Wenn ich die Langnese-Tafel sehe, dann denke ich an
die Holzhütte am Eingang des Minigolfplatzes. Durch ein Fenster kassiert der
Opa der Zwillinge die Gebühr für das Minigolfen, und manchmal kassiert auch
Herr Freitag, der als Kellner im Hotel arbeitet. Ehrlich gesagt, zahlen wir
ganz oft auch gar nicht, da wir zum erlauchten Freundeskreis des
Hotelnachwuchses zählen.
Am Fensterchen des Holzhauses können wir auch ein
Langnese-Eis kaufen, meistens eines von den günstigen, also Capri oder
Dolomiti. Wir sind so blöd und kaufen das Eis, bevor wir mit dem Spielen
beginnen und haben dann keine Hand mehr frei für den Schläger, den
Minigolfball und den Block, einem dunkelgrünen Plastikmäppchen, an dem man
einen dunkelrosa Zettel und einen Bleistift befestigt. Auch im Nachhinein
erscheint mir das Hantieren mit einem Capri zwischen den Oberschenkeln, dem
Schläger zwischen den Knien oder dem Block im Mund, während wir uns an Bahn 1
aufstellen, sehr umständlich. Ich weiß noch genau, wie das Papier zum Notieren
der Punkte geschmeckt hat. Meistens drücken wir das Eis einem mitspielenden
Kind in die Hand. „Hier, halt mal." Wenn das Eis tropft, leckt die
Freundin netterweise einmal um das Eis herum.
| Jahnpark/Nordhessen - so ähnlich sah das damals aus
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Ich bin nicht besonders gut im Minigolf.
Merkwürdigerweise gelingen mir 1- Punkte-Schläge auf Bahnen, die eher
anspruchsvoll sind, zum Beispiel die, auf der man den Ball oben ins Netz
chippen muss. Das Geräusch beim Addieren der Punkte mit dem ziemlich stumpfen
Bleistift verschafft mir regelmäßig eine Gänsehaut.
Minigolf in Kombination mit einem Langnese-Eis ist
1979 mein kleines Sommerglück. Mein Sommerglück am Stiel. Meistens kaufe ich
mir ein Dolomiti. Ich finde, die Eisleute haben das Dolomiti gut geplant, denn
ich esse mich von meiner drittliebsten der drei Eissorten, Zitrone, über die
zweitliebste, Himbeere, durch bis zu meiner allerliebsten Sorte: Waldmeister.
Perfekt.
Eine weitere Erinnerung, die ich sofort vor Augen
habe, als Marco uns das Foto von der Eistafel schickt, ist das Freibad. Das
Freibad im Nachbarort mit der riesigen Wiese, dem Kinderbecken, dem
Nichtschwimmerbecken und dem Schwimmerbecken mit Sprungblöcken, einem
1-Meter-Sprungbrett und einem 3-Meter-Sprungbrett, kurz Einer und Dreier
genannt. Parallel zum Schwimmerbecken läuft der Bademeister hin und her und
unterhält sich mit den Stammgästen des Freibades. Er trägt eine kurze weiße
Hose sowie ein weißes Poloshirt und ist aufgrund seiner Outdoor-Tätigkeit sehr
braun. Zwischendurch ruft er Kinder und Jugendliche zur Ordnung. Wenn der
Dreier geöffnet hat, passt er besonders gut auf. Und wenn es gar nicht anders
geht, greift er hart durch und wirft Störenfriede raus. Die stehen dann mit
nassem Haar, im wahrsten Sinn bedröppelt, vorm dem Zaun des Schwimmbadgeländes.
Es fehlt nur noch ein Schild um den Hals mit „Wir müssen draußen bleiben".
Ähnlich wie an der Holzhütte auf dem Minigolfplatz der
Nachbarn, ist auch im Freibad ein Fensterchen das Tor zum Glück. Neben den
Umkleiden befindet sich ein Raum mit Küche und Fenster, durch das unter anderem
die Ehefrau des Bademeisters im weißen Kittel Speisen und Getränke verkauft.
Waffeln, Bockwürstchen mit Senf, Bier, Limo, und dann noch sehr viel
Kleinteiliges der Firma Haribo: Colafläschchen, Teufel, weiße Mäuse, Schnuller.
Und Schleckmuscheln gehören auch zum Sortiment. Ich möchte diese Frau und ihre
Kolleginnen nachträglich lobpreisen für ihre Engelsgeduld.Mit 40 Pfennig in der Hand und in ein Handtuch gewickelt, lasse ich mir eine
Tüte zusammenstellen, deren Inhalt kostentechnisch mein Budget nicht
übersteigen darf.
Das Verkaufsgespräch mit der Frau des Bademeisters
(Brille, Maria-Hellwig-Frisur) verläuft ungefähr so:
„Äh...hallo."
„Ja, hallo. Was möchtest du denn?"
„Hm. Was kosten denn die Colafläschchen?"
„Fünf Pfennig."
„Hm. Dann nehme ich drei Colafläschchen. Und die
Schleckmuschel, was kosten die?"
„Zwanzig Pfennig."
Ich versuche, im Kopf zu berechnen, wieviel Geld ich
noch übrig habe, wenn ich eine Schleckmuschel kaufe. Das verläuft ähnlich
umständllich wie das gleichzeitige Eisessen und Minigolfspielen bei den
Nachbarn.
„Was kosten die Schnuller?"
„Zehn Pfennig."
„Dann nehme ich eine Muschel und einen Schnuller. Ach,
nee, ich glaube, da reicht mein Geld nicht."
„Wieviel hast du denn?"
„40 Pfennig."
„Dann nimm doch einen Teufel und eine Muschel."
„Hm, na gut."
Und während sich die Schlange hinter mir inzwischen
einmal rund um das Schwimmbecken formiert hat, geht hinter einem
Hochsauerländischen Hügel die Sonne unter. Zumindest hat es sich für die
anderen tropfenden Wartenden bestimmt so angefühlt.
Viel schneller und genauso lecker läuft die
Eisbestellung aus dem Langnese-Sortiment. Manche Eisabbildungen auf der
Werbetafel sind durchgestrichen. Je nach Sorte ist das für mich eine mittlere
Katastrophe, aber wenn Dolomiti ausverkauft ist, geht notfalls auch ein Capri oder
Cola-Eis. Mit dem Einkauf schlendere ich zurück zum Platz, wo meine Decke und
meine Freundinnen liegen. Ich lege mich auf den Rücken, esse mein Eis, wobei
ich niemals hineinbeiße. Es ist mir bis heute ein Rätsel, wie jemand ohne
Ganzkörpergänsehaut in ein Eis beißen kann.
Ich liege da und gucke, wie die Wolken ziehen. Bis
irgendjemand kommt und fragt, ob ich Federball spielen will. Natürlich will
ich. Und natürlich habe ich wieder das Problem, dass Federballspielen mit Eis
in der linken Hand nicht gut geht.
Es ist ein winziges Kinderproblem.
Genauso wie Jungs, die einen mit Juckpulver aus einer
Hagebuttenfrucht ärgern.
Oder Sonnenbrand auf den Schultern.
Oder ein Wespenstich am Fuß.
Es ist jedoch nichts, was meine Stimmung an diesem
Sommertag im Freibad trüben kann.
1979 fühlt sich alles meistens leicht an.
Und das Sommerglück hat einen Stiel.